von Franz-Xaver Nager


Was geht da vor? In Zürich zeichnet der Stadtpräsident eine jodelnde Studienabgängerin aus, in Luzern lanciert die Musikhochschule den Nachdiplomkurs Schweizer Volksmusik. Zufall? Mitnichten: Über Jahrzehnte in den Schatten gedrängt, tanzt die Volksmusik auch bei uns in die Frühlingssonne, und sie blüht reicher denn je.

Landauf, landab lockt die "Hanneli-Musig" mit wieder entdeckten alten Tanzweisen ein bunt geflecktes Publikum an. Das Septett "Mnozil Brass" aus unserem östlichen Nachbarland mischt mit seinen virtuos-witzigen Polkas die Schweizer Blasmusikszene frisch auf. Der Schweizer Dokumentarfilm Accordion Tribe beglückt ein wintergebeuteltes Kinopublikum mit herzerwärmenden Handorgelklängen und wird dafür an den Solothurner Filmtagen ausgezeichnet. Nach dem Burgdorfer Zentrum für Volkskultur sind auch im Waadtland, im Appenzellischen und in Uri neue Volksmusikzentren im Entstehen. Festivals wie die Alpentöne in Altdorf oder die Stanser Musiktage gehen vor ausverkauften Rängen über die Bühne, ähnlich ausgerichtete Veranstaltungen sind in Planung. Dies alles und manches mehr lässt wenig Zweifel offen: Mit der für die Schweiz nicht ganz untypischen Verzögerung hat auch bei uns ein Comeback der Volksmusik eingesetzt, wie es etwa in Skandinavien oder im benachbarten Alpenraum schon seit geraumer Zeit im Gange ist.

"Die kreative Auseinandersetzung mit der Volksmusik ist das Spannendste, was zur Zeit in der Musikszene abgeht", sagt der Jazz-Trommler Marc Halbheer, der in Heiri Känzigs "Tien-Shan-Schweiz-Express" auf ausgedehnten Tourneen mit mongolischen Obertonsängern, alpenländischen Jodlerinnen und kirgisischen Komuz-Spielern konzertiert. Ähnlich bilanzieren auch die fünfzehn Lehrpersonen, die vor einem Jahr den einwöchigen Pilotworkshop "Schweizer Volksmusik aktuell" an der Musikhochschule Luzern besuchten: "Eine grosse Bereicherung für das eigene Musikschaffen und für den Unterricht" und "bitte unbedingt mehr davon!" Höchste Zeit also, mit verstaubten Vorurteilen und der Ausgrenzung der einheimischen Volksmusik aufzuräumen. Von wegen "zwanghafter Dur-Dudelei" - Wieviel Moll hat denn der Blues zu bieten? Wer kritisiert schon den Rock’n’Roll, weil er mit Tonika-Dominante-Subdominante als Grundharmonik auskommt? Immergleiche Akkordbrechungen als Melodieprinzip? Gemessen an vielen irischen Jigs ist manch ein Hudigäggeler geradezu raffiniert gestrickt. Ob Klassikerin oder Jazzer: Wer sich etwas ernsthafter auf die "Ländlermusik" einlässt, stellt schnell fest: So einfach ist die Sache nicht, schon gar nicht, wenn die oft grossen Intervallsprünge in Sechzehntelläufen auf einer Posaune oder einer Gitarre zu spielen sind (beides übrigens Instrumente, die vor Jahrzehnten auch in unserer Volksmusik heimisch waren). Und selbst, was technisch zu bewältigen wäre - bis es wirklich rund fegt und lüpfig federt, braucht es denn doch einiges.

Aus diesen Gründen hat die Musikhochschule Luzern den Nachdiplomkurs "Schweizer Volksmusik" entwickelt, in dem ein gutes Dutzend Volksmusikexperten aus der ganzen Schweiz mitwirken. Wie die bereits mehrfach durchgeführten Kurse "Musik&Computer" oder "Pop/Rock im Musikunterricht" bietet auch der neue NDK eine professionelle Zusatzqualifikation, die über den musikalischen Gewinn hinaus interessante berufliche Perspektiven eröffnen kann: Der Blick ins Ausland und das ohrenfällige Comeback in der Schweiz lassen unschwer mutmassen, dass die Nachfrage nach Volksmusik sowohl seitens der Konzert- und Festivalveranstalter als auch der Musikschulen steigen dürfte.


(Quelle: Schweizer Musikzeitung, Ausgabe April 2005)