Ländler-Experte Alois Gabriel über sein mutiges Programm in Stans, Einflüsse aus dem Norden und das unerträgliche Gemisch auf Musigwälle
Der grösste Volksmusikanlass der Schweiz, das Eidgenössische Ländlermusikfest in Stans, überrascht mit einem mutigen Programm, das ohne den volkstümlichen Schlager auskommt. Stattdessen kommen die innovativsten Volksmusikgruppen der Schweiz zum Zug. Verantwortlich dafür ist der Nidwaldner Alois Gabriel, 57.
Der Schweizerische Volksmusikverband, der das Eidgenössiche Ländlermusikfest organisiert, ist nicht gerade als fortschrittlich bekannt. Wie kommt es zu diesem innovativen Programm?
Ich wurde angefragt, weil ich Verbandsmitglied bin und mich seit Jahren in der Nidwaldner Volksmusikszene engagiere. Stans ist ein kulturell fruchtbarer Boden, denken Sie nur an die Stanser Musiktage. Da wollte ich ein Programm bringen, das zu uns passt.
War der Verband nicht erzürnt, dass statt traditionellem Ländler die Hujässler, Ils Fränzlis da Tschlin und sogar eine finnische Gruppe spielen?
Er war nicht sehr begeistert. Wir schlugen auch ein Angebot von SF DRS für eine grosse Samstagabend-Kiste aus, weil man uns die Bedingung stellte, das Programm müsse mit volkstümlichem Schlager gemischt werden. Damit hatte der Verband Mühe, aber er akzeptierte es schliesslich.
Was ist am volkstümlichen Schlager schlecht?
Mit gut und schlecht hat das nichts zu tun. Er hat nur einen ganz anderen Ansatz. Die echten Volksmusiker sind innerlich getriebene Musikanten, die genau das spielen, was ihnen gefällt. Der volkstümliche Schlager hingegen setzt gezielt auf den Geschmack der Massen. Eine Vermischung schadet der Vielfalt und Innovation unserer Volksmusik.
Was verstehen Sie unter innovativer Volksmusik?
Nehmen sie die Hujässler, die an unserem Gala-Abend spielen. Das ist keine Judihui-Truppe, obwohl der Name ein bisschen so klingt. Das sind absolute Profis mit zum Teil klassischer Ausbildung, die unsere Volksmusik von der Pike auf gelernt haben und sie nun von innen heraus verändern. Ihr Musik ist absolut offen und zeitgemäss, auch inspiriert von anderen Musiksparten und ausländischen Elementen. So klingt für mich die Volksmusik der Zukunft.
Darf sich unsere Tradition beim Ausland bedienen?
Das war schon immer so. Die Einflüsse kamen früher eher aus dem Osten, aus Österreich und Ungarn, heute mehr vom Norden, vor allem aus Finnland. Die spielen ja auch Polka und Schottisch, das passt problemlos zusammen.
Trotzdem hat man den Eindruck, der Ländler sei für alle Zeiten definiert.
Völlig falsch, die Ländlermusik ist ja erst etwa in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts entstanden. Und erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie so streng normiert, wie sie uns heute oft erscheint. Volksmusik ist nichts Heiliges, das man über die Jahrhunderte hinweg retten müsste, sie muss leben.
Am Ländlerfest wird auch ein Ländler-Star gekürt. Was halten Sie davon?
Der Titel "Star" passt schlecht in unsere Szene. Die gute Idee dahinter war, die Teilnehmer eine alte Melodie neu arrangieren zu lassen. Das ist nämlich genau das, was die meisten Kapellen nicht tun, sie spielen ihre Stücke immer gleich. Weil es ein "Hopp de Bäse"-Spezial mit Tele-Voting gibt, wird aber wohl nicht das originellste Arrangement gewinnen.
Auch Radio DRS 1 ist beim Ländler-Star dabei, will jetzt aber die Volksmusik auf die Musigwälle verbannen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Doch, natürlich, und ich bedaure es sehr. Diese Musigwälle sendet ein unerträgliches Musikgemisch. Kommerzieller Schlager und echte Volksmusik werden einmal mehr in den gleichen Topf geworfen, als ob sie ganz natürlich zusammengehörten. Einige unserer aufstrebenden Formationen haben das Zeug, international auszustrahlen. Wenn sie nicht einmal im meistgehörten Schweizer Sender gespielt werden, kann das natürlich nicht geschehen.
Volksmusik ist halt eine Minderheitsangelegenheit.
Ja, aber sie ist Teil unserer Kultur und hat ein grosses Entwicklungspotenzial. Kommen Sie in unsere Ländlergasse in Stans, wo am "Eidgenössischen" die Nächte durchgespielt werden. Da kann man sie im richtigen Umfeld erleben.
Interview: C. Hubschmid
Quelle: Sonntagszeitung, 2. September 2007 (gefunden auf musigschopf.ch)